Die groß angelegten Terrorangriffe der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 mit ihren unfassbaren Gräueltaten waren eine sinnlose Barbarei, ein menschenverachtender Angriff auf die Zivilisation. Was so sinnlos erscheint, ist eine gezielte konzertierte Aktion gegen die Existenz Israels, mit der Absicht, sie zu verwunden, sie zu schwächen, sie zu zerstören. Der Plan der Hamas reicht jedoch über das hasserfüllte Massaker hinaus; er folgt einem klaren Kalkül. Er rechnet mit einer massiven militärischen Reaktion von Seiten der Israelis, mit einer invasiven Bodenoffensive, deren auf Erfolg ausgerichtete Brutalität die Weltöffentlichkeit erschrecken wird, ein Plan, der zu einer Mobilisierung welt-weiter palästina-freundlicher Menschenmengen führen wird, der das Ende der Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Israel bedeuten wird und der davon ausgeht, dass sich auch andere, vom Iran lancierte anti-israelischen Kräfte, wie die Hisbollah im Libanon aktivieren lassen, um schließlich in die Auseinandersetzungen einzugreifen.
Hinter dem sorgfältig ausgeklügelten Plan zielt also durchaus auf einen möglichen Flächenbrand, auf kriegerische Auseinandersetzungen weit über die Region hinaus. Die Absichten der USA sind ebenso eindeutig, mit ihrer militärischen Demonstration (zwei Flugzeugträger und mehrere Schlachtschiffe vor Ort) zeigen sie an, dass sie bereit sind, jeden aufkeimenden Versuch der Beteiligung zu unterbinden. Noch hat die Boden-offensive nicht begonnen, noch lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, welche Folgen dieser brutale Terroranschlag noch haben wird, umso wichtiger scheint es, selbst-kritisch darüber nachzudenken, wie es dazu kommen konnte. Solche ausufernden Gewaltexzesse haben ihre Entstehungsgeschichte, solche menschenverachtenden Wut-ausbrüche und Hassentladungen haben ihre Vorgeschichte; es sind energetische Prozesse, die vor ihrer Entladung Grund haben, zerstörerisches Potential anzureichern. Nicht immer ist dieser Grund benennbar, doch wird man sich die Mühe machen müssen, unvoreingenommen und aufrichtig alle Möglichkeiten ins Auge zu fassen und selbst-kritisch zu hinterfragen.
Seit dem Bestehen des Staates Israels ist man bemüht, Frieden zu schaffe zwischen den seit der Staatsgründung erstarkten Israeli und den mehr und mehr ins Hintertreffen geratenen Palästinensern. Zu keiner Zeit hat man sich auf die Regularien einer friedlichen Koexistenz einigen können. Wie ausführlich dargestellt, hat die arabische Seite mehrfach mit kriegerischen Mitteln versucht, Israel zu zerstören und, wie es Teheran auch heute noch offen ausspricht, besteht dieses Ansinnen fort, initiiert und koordiniert von iranischen Politikern und Religionsideologen. Das Misstrauen der israelischen Politik ist verständlich – einerseits – wenn man jedoch bedenkt, dass es um ein friedliches Zusammenleben mit den Palästinensern geht, wird man vom Stärkeren eher erwarten können, dass er die Hand reicht und Anstrengungen erkennen lässt, Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben zu schaffen.
Israel ist bedauerlicherweise in ein genau gegenteiliges Fahrwasser geraten: es verhält sich gegenüber den Palästinensern, als wären es Menschen zweiter Klasse, stets von oben herab betreibt es eine Siedlungspolitik, die zunehmend erkennbar eine Zwei-Staaten-Lösung verunmöglicht. Für jeden Außenstehenden ist erkennbar, dass der Unmut der Palästinensern wächst, dass sich Aggressionen aufstauen, die immerhin eine linksliberale Zeitung in Israel nach dem aktuellen Terroranschlag zu der Aussage veranlasst, es gäbe einen, der an all dem Schuld mitträgt: Netanjahu. Dass in Europa eine demonstrative Gewaltverherrlichung zu beobachten ist, ist schlimm und Ausdruck einer Gesinnungs-verwahrlosung. Es ist aber auch Vorsicht geboten, denn nicht hinter jeder Palästina-Fahne steckt eine Hamas- oder Kassamidentität!
Diskriminierung ist das eine, Verteufelung ein anderes. Es muss auch heute möglich sein, die Politik Israels zu kritisieren; man muss dabei sehr vorsichtig sein, eingedenk eines wachen Geschichtsbewusstseins. Die Klarheit der Sprache ist dabei unabdingbar. Es geht nicht, wenn in der FAZ vom 14. Oktober (S. 36) vom israel-bezogenen Antisemitismus gesprochen wird.
Das Leid der Israeli ist unermesslich; vergessen wir das Leid der Palästinenser nicht! Es gibt auch Friedfertige unter ihnen! Auch hierbei sollte man sich die Geschichte der Palästinenser vergegenwärtigen, wie sie im östlichen Mittelmeerraum auf der Suche nach einer Heimat hin und herzogen. Keiner wollte sie haben; die Welt agierte ihnen gegenüber in einer abwehrenden und schroffen Verneinung. Einseitige Schuldzuweisungen sind angesichts ihrer Ausweglosigkeit nicht angebracht. Was geschah aus der Not heraus, was aus latenter oder offener Aggression? Wenn es weltweit Menschen gibt, die mit den Palästinensern sympathisieren, sie gar unterstützen, dann steckt nicht immer religiöser Fanatismus oder Tendenzen der Gewaltverherrlichung dahinter; nicht selten sind es Gesten reiner Menschlichkeit. Allein schon dieser Umstand verbietet jede undifferenzierte Stellungnahme, jede Polarisierung. Vor diesem Hintergrund ist es geboten, die Vielschichtigkeit der Zusammenhänge aus der Sicht der deutschen Vergangenheit besonders sorgfältig zu betrachten.
Die Schuld, die Deutschland mit der Schoa auf sich geladen hat, wird immer mit Deutschland verbunden bleiben, nicht aber mit den Deutschen. In jedem Generationswechsel steckt die Gnade des Neuanfangs, nicht aber die Willkür von Ahnungs- und Geschichtslosigkeit. Das Dunkel des Entsetzens darf nie dem Vergessen preisgegeben werden; es muss Mahnmal für eine Verirrung in die tiefsten Abgründe des Bösen bleiben und muss eine menschliche Haltung des Nie Wieder hervorbringen. Weil dies eine an sich menschliche Haltung sein muss, kann sie nicht allein deutsch sein. In dieser Haltung ist es angebracht, solidarisch zu sein mit dem israelischen Volk. Solidarisch muss aber nicht bedeuten: meinungslos, vorbehaltlos.
Eine Kopfnicker-Freundschaft kann nicht wirklich Freundschaft genannt werden, denn es fehlt ihr die moralische Verlässlichkeit. Deutschland aber hat allen Grund, moralisch verlässlich zu sein. Die dunklen Stunden des 7. Oktober sind nicht der Zeitpunkt, auf mögliche Fehler der israelischen Politik in der Vergangenheit hinzuweisen, selbst wenn eine Verbindung zu bestehen scheint zwischen den aktuellen Ereignissen und einer ver-fehlten Politik gegenüber den Palästinensern. Die Art und Weise wie Israel mit den Palästinensern umgegangen ist, man denke nur an die respektlose Siedlungspolitik und die immer offensichtlichere Verunmöglichung der Zwei-Staaten-Lösung, diese ständig demonstrierte Vormachtstellung hat antiisraelische Aversionen entstehen lassen, die zu immer größeren Spannungen geführt haben, begleitet von Hass und aggressiven Ten-denzen. In diesem Umfeld nahm die Hamas immer militantere Züge an, mehr und mehr strapazierte und terrorisierte sie das eigene Volk. In ihr militantes Gebaren mischte sich unaufhaltsam das vom Iran gesteuerte Gift der bedingungslosen Zerstörung und Auslöschung Israels. Das Volk der Palästinenser geriet immer mehr in die Randbereiche der politischen Aufmerksamkeit. Während der Westen, die Europäische Union und schließlich auch Deutschland gelegentlich an die Notwendigkeit einer Zwei- Staaten Lösung erinnerten, war dies jedoch angesichts ständig artikulierter Solidaritätsbekundungen leicht zu überhören.
Im Schatten der scheinbar geklärten politischen Verhältnisse setzte Israel seine Friedensverweigerungspolitik konsequent fort. Während auf israelischer Seite die herrschende Ruhe eine Art von Unbekümmertheit entstehen ließ, Schmiedete die Hamas Pläne und sammelte alle verfügbaren Kräfte. Nicht nur, dass Mahmud Abbas, Präsident der Palästinenser und führender Politiker der Fatah-Bewegung, nichts von diesen Aktivitäten mitbekommen haben will und auch der Umstand, dass er sich zu den Terroranschlägen am 7. Oktober erst nach vielen Tagen geäußert hat, gibt Rätsel auf. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass sowohl der normale israelische Bürger als auch der normale Palästinenser die eigentlichen Leidtragenden und die Verlierer dieser militärischen Machtspiele sind. Vor allem bei den Palästinensern fällt es schwer, sich eine Vorstellung vom Ausmaß der zivilen Tragödie zu machen und diese abzugrenzen von den Machenschaften von Befürwortern, von Mitläufern, von militanten und terroristischen Agitatoren. Nicht weniger problematisch sind die unterschiedlichen Beweggründe von Demonstranten, die mit immer leidenschaftlicherem Nachdruck in den Straßen großer Städte demonstrieren. Lautstark votieren sie für die Palästinenser und für Palästina, doch es mischen sich auch andere Töne und andere Gesinnungen in das lautstarke Stakkatogebrüll der Massen, Hasstiraden gegen Juden, Feindseligkeiten gegen Israel; es werden Fahnen verbrannt, Fahnen mit dem Davidstern und Fahnen der USA. Weltweit sind Moslems in Aufruhr; aufgrund der Religionsgemeinschaft mit den Palästinensern fühlen sie sich aufgerufen, die Gelegenheit wahrzunehmen und gegen die gefühlte Okkupation und die ständigen Erniedrigungen durch Israel zu demonstrieren. Geschickt werden die stark emotional aufgeladenen Strömungen der Empörung, der Auflehnung und des Widerstands von Teheran, dem Kreml und auch von Peking genutzt, um mit tendenziöser Propaganda, um eigene Zielsetzungen in diese Massenbewegung einfließen zu lassen: gegen Israel, gegen die USA, gegen den bevormundenden Westen, den Erzfeind! So entsteht ein ebenso undurchsichtiges wie vielseitig nutzbares hoch-energetisches Potential von hoher Brisanz und Explosivität, geradezu geeignet, die Vor-macht des Westens ins Wanken zu bringen. Das ist der Punkt, an dem wir heute stehen und der uns mit unendlich vielen Fragen konfrontiert, wie am besten die Ordnung wieder hergestellt werden kann und wenn ich Ordnung sage, meine ich Frieden.
Was bedeutet es, wenn die deutsche Regierung sagt: Die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson? Was bedeutet das und was sagt dieser Satz aus in einer Zeit aktueller Bedrohung? Natürlich ist es schön und gut, Freunde zu haben und aus der Sicht der Deutschen vermittelt eine so großherzige Aussage ein gutes Gefühl. Der Nutzen für Israel ist jedoch vergleichsweise gering. Der Nutzen für Israel und nicht weniger der Nutzen für die Palästinenser wäre ungleich größer, hätten wir uns Israel gegenüber wie ein Freund verhalten, indem wir immer wieder auf die Notwendigkeit eines Friedens und eben auf die Bereitschaft zum Frieden hingewiesen hätten. Die permanente, nicht enden wollende Friedlosigkeit zwischen Israel und Palästina ist Grund für die Tragödie heute und für die Projektion dieses Unfriedens in die globalen Dimensionen der Welt.
Das „Wie“ entscheidet darüber, ob Klugheit als Bevormundung verstanden wird. Zu klugen Ratschlägen, zumal gegenüber Freunden sollte auch ein Deutscher den Mut haben.
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