„Freiheit“ ist der Titel des Buches, in dem Angela Merkel ihre autobiographischen Betrachtungen veröffentlicht. Der Titel ist bedeutsam, wie eben ihr Leben auch. Aus der Unfreiheit kam sie und mit der Freiheit lernte sie die Verantwortung kennen. Wer Angela Merkel erlebt hat, wird aus dem Studium dieses Buches keine weiteren Erkenntnisse gewinnen können. Im Gespräch mit der Moderatorin Anne Will nimmt sie auch zum Ukrainekrieg Stellung. Ausdrücklich unterstützt sie die deutsche Regierung in ihrem Bemühen, der Ukraine in jeder Weise zu helfen. „Russland darf den Krieg nicht gewinnen“ sagt sie. Sie fügt hinzu, dass man allerdings auch diplomatische Anstrengungen im Blick haben müsse. Ist das eine Aussage, die über eine Binsenwahrheit hinausgeht, oder verfolgt sie damit ein konkretes Anliegen. Immerhin kennt sie Wladimir Putin und weiß, dass jeder Gedanke an wünschenswerte Verhandlungen sinnlos ist. Obwohl sie das weiß, sagt sie das. Muss ein Politiker bei allem, was er sagt, das Wohlwollen der Öffentlichkeit im Auge haben? Geht bei dieser Doppeldeutigkeit nicht immer auch ein Stück Wahrheit und ein Stück Demokratie verloren?
Sie unterstützt das Bemühen der Regierung, was die Unterstützung der Ukraine angeht. Jedes Bemühen verfolgt ein Ziel, auf das alle Kräfte gerichtet sind. Seit der Verkündung der Zeitenwende wird das Ziel dieser Bemühungen immer wieder lautstark verkündet: „Russland darf den Krieg nicht gewinnen!“ So eindeutig die Formulierung, so wenig glaubwürdig die dahinter stehende Haltung. Denn es gibt einen Grund dafür, dass nicht alle Kräfte auf das Erreichen dieses Ziels gerichtet sind. Alle Kräfte, das würde bedeuten, so versucht man es zu erklären, würden Putin verärgern und davor schreckt Olaf Scholz zurück. Zu befürchten wäre eine Eskalation des Krieges, resümiert er. Wir könnten in den Krieg hineingezogen werden. Sollen also die Ukrainer die Freiheit allein verteidigen – andererseits wird behauptet: durch die Aggression Russlands sei auch unsere Freiheit gefährdet; eine überzeugende Reaktion ist weder in Deutschland noch in Europa zu erkennen. Und Scholz bleibt bei seiner Entscheidung, die Ukraine nicht mit allen Kräften zu unterstützen. Aus militärischer Sicht ist das nicht nur unklug, sondern auch unmoralisch. Man unterstützt nur so weit, wie es nötig ist, den Krieg am „Laufen“ zu halten, nicht aber so, dass Erfolge möglich sind. So ist man mit verantwortlich für das Sterben unzähliger Soldaten. Besonnenheit käme gewiss zu einer anderen Entscheidung.
Politiker hätten die Aufgabe, Geschichts- und Politikverständnis in die Öffentlichkeit zu tragen, Weltgeschehen verständlich zu machen und in Abhängigkeit von der jeweiligen Lage klare und nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen. Dazu gehört heute die eindeutige Aussage, dass unsere Freiheit existenziell bedroht ist. Es gehört dazu, zu erklären, dass wir es mit einem Menschen zu tun haben, der gewissenlos und unmoralisch seine Ziele verfolgt, der vor nichts zurückschreckt – verschließen wir die Augen nicht angesichts er Apokalypse, die sich vor unseren Augen abspielt. Wir sind bereits mitten im Krieg, begreifen wir doch endlich die Tragweite dieses entsetzlichen Krieges. Es geht um die Freiheit, um unsere Freiheit, um unser freiheitliches Leben! Halbheiten, ledigliche Absichtserklärungen oder Irreführungen können nicht zum Erfolg führen. Eine der Irreführungen ist der ständige Verweis auf den Umstand, zweitgrößter Unterstützer der Ukraine zu sein, sie aber nicht mit allen Möglichkeiten zu unterstützen – aus Angst.
Olaf Scholz ist in seinem Denken und in seinen Verlautbarungen unklar. In einem Interview mit Marietta Slomka wird er gefragt, ob seine Friedenspolitik nicht auf dem Rücken der Ukrainer ausgetragen werde? Seine Antwort: „Das sei peinlich.“ Im Nachsatz ergänzt er: „für denjenigen, der so etwas sagt.“ Dieser Gesprächsverlauf entlarvt in bizarrer Weise den Charakter von Olaf Scholz. Er erkennt zwar das Verwerfliche an dieser Politik und findet sie peinlich. Im Nachgang aber belastet er denjenigen, der diese Politik als peinlich empfindet, nicht denjenigen, der diese Politik zu verantworten hat. Er schafft es, sich komplett von seiner eigenen Politik zu distanzieren. Immer versteckt er sich hinter dem Feigenblatt, Deutschland täte schon so viel. Aber so viel ist nicht alles und man fragt sich, wie er diesen Widerspruch aushält: auf der einen Seite zu betonen, fest an der Seite der Ukraine zu stehen und auf der anderen nicht alles zu tun, was der Ukraine im Abwehrkampf helfen könnte. Wie nur kann man sich der Realität so konsequent entziehen? Auf dem „Wahlsiegkongress“ der SPD fordert Lars Klingbeil die Genossen auf, sich nicht durch Umfragewerte und nicht durch kritische Kommentare oder sonstige Meinungen verunsichern zu lassen. Er rät also seinen Genossen, sich nicht von fremden Meinungen infizieren zu lassen. Die SPD steht uneingeschränkt hinter ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, was bedeutet, dass es für sie nur eine Realität gibt und die heißt Olaf Scholz.
Täglich rücken die Russen vor; die militärische Lage in der Ukraine wird immer prekärer. Von dem Telefonat, das er vor wenigen Tagen mit Präsident Putin geführt hat, sagt er, dass dieses Gespräch nicht angenehm gewesen sei. Das ist bei dieser Sachlage leicht nachzuvollziehen, kann man sich doch leicht in einen Schüler versetzen, der vom Lehrer eine mangelhafte Arbeit korrigiert zurückerhält, am Seitenrand eine Vielzahl roter Markierungen und Hinweisen: „unklar“, „banal“, „Wiederholung“, „was meinen sie damit?“ „Wiederholung“ Das letzte, in der Arbeit Erwähnte: Völkerrechtsbruch und die wiederholte Anregung, die Soldaten zurückzuziehen waren rot unterstrichen und am Seitenrand mit Rotstift kommentiert: Eine Sache wird nicht dadurch bedeutsam, dass man sie ständig wiederholt. Schnell wird klar, dass das Gespräch kein Gespräch auf Augenhöhe war. Der Umstand aber, dass der Schüler Scholz mit dem Lehrer Putin sprechen konnte, war Grund genug, es dem Schüler anerkennend als Erfolg anzurechnen. Der deutsche Wähler indes war froh, dass das Gespräch ohne Kriegserklärung zu Ende ging.
Dafür allerdings hatte schon die Besonnenheit des Schülers Sorge getragen. Obwohl es dem Schüler nicht angenehm war, akzeptierte er doch klaglos die Note „mangelhaft“, die Verschwiegenheit des Lehrers voraussetzend. Er wusste, dass er sich in der Rolle des Schülers keine Rechthabereien leisten und schon gar keine Forderungen stellen kann. In der Rolle eines Kanzlers und der damit verbundenen Verantwortung hätte er wohl anders auftreten müssen, spricht er doch auch für die ukrainischen Soldaten, die ihr Leben für unsere Freiheit riskieren. Tausende nordkoreanischer Soldaten bedrohen unsere Freiheit an den Ostgrenzen Europas. Europa schweigt; Deutschland ist besonnen; die ukrainischen Soldaten sterben. Scholz hätte den Schneit haben müssen, einmal Bedingungen zu stellen, die auch nur den Anschein von gleicher Augenhöhe vermitteln würden: wenn du, Putin, die koreanischen Soldaten nicht zurückziehst, werde ich den Taurus freigeben. Doch Olaf sagt nein, denn das wäre eine Eskalation des Krieges und ich habe mir Frieden versprochen. Morgen werde ich in die Ukraine reisen, nicht mit einer alten kollabierten Ledertasche, wie sonst, sondern mit großem Silberkoffer mit viel Platz für Panzer, Luftabwehr und Munition. Er übergibt Kriegsmaterial im Wert von 650 Mio Euro. Die Peinlichkeit besteht darin, dass das ein Teil jener Summe ist, die mit 1,4 Milliarden bereits im Oktober versprochen war. Zweimal versprochen verdoppelt den Wert! Immerhin, es ist Wahlkampf! Man kann gespannt sein auf die Autobiografie, die Scholz der Nachwelt einst überlassen wird. Der Titel wird sein: „Wie die Ukraine die Freiheit verlor“ Der Untertitel: „Der Westen war machtlos, doch ich habe alles versucht“.
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