Fast drei Jahre Krieg liegen hinter uns; drei Jahre, in denen die Menschen in der Ukraine der Übermacht Russland mit großen Opfern Stand gehalten haben. Mehrfach hatte Russland die Selbständigkeit und Unabhängigkeit mit Brief und Siegel anerkannt. Dann aber der Überfall am 24. Februar 2022.Die anfängliche Empörung des Westens angesichts des gebrochenen Völkerrechts war einhellig und eindeutig und keineswegs eine parteipolitische Angelegenheit. Die Überzeugung, dass man einem Land die Grenzen aufzeigen müsse, das in derart eklatanter Weise die Rechtsgrundlage des friedlichen Zusammenlebens missachtet, wurde mit wenigen Ausnahmen einhellig und vorbehaltslos geteilt und führte in der Vollversammlung der Vereinten Nationen zu einem nahezu einstimmigen Votum. Bundeskanzler Scholz sprach von einer Zeitenwende, was heißen soll, wir müssen umdenken, beziehungsweise, wenn man bedenkt, dass wir seit 1990 im Glauben waren, die Zeit von Krieg und Kaltem Krieg endlich hinter uns lassen zu können, dann kann Zeitenwende nichts anderes bedeuten als, endlich aufzuwachen und der Realität ins Auge zu sehen! Und tatsächlich, Deutschland hat das Umdenken in große Worte gepackt und mit 5 Tausend Helmen den Willen demonstriert. Erst langsam wurde die neu entstandene Realität verstanden; nur mit Unverständnis konnte man die immer wieder stagnierende militärische Unterstützung verfolgen, als ob jede Vorstellung von Krieg verloren gegangen wäre. Groß aber waren die Worte „Russland darf den Krieg nicht gewinnen!“ „Wir stehen fest an der Seite der Ukraine, so lange es nötig ist!“ Das war vor drei Jahren!
Und heute? Der Krieg geht weiter; es sterben täglich Menschen; und täglich sehen wir das Sterben und das grenzenlose Leid. Und wir sehen, wie die mutwillige Zerstörung eines ganzen Landes weitergeht. Doch wir stellen fest, dass die Menschen im Westen des Krieges überdrüssig geworden sind, dass das damals empfundene Unrecht seinen schneidenden Schmerz verloren hat und dass die Wut über den „Unruhestifter“ und Rechtsbrecher wenn auch nicht ganz verflogen, so doch zu einem Maß der kalkulierenden Abwägung herabgemildert ist. Unmittelbar nach Kriegsbeginn fiel es leicht, sich die Überzeugung zu eigen zu machen, nach der auch unsere Freiheit bedroht sei und dass die Ukraine auch unsere Freiheit verteidigen würde. Inzwischen aber konkretisiert sich das Bild in der Weise, dass wir von dieser Bedrohung nichts spüren, außer dass wir Sorge haben, dass die nicht enden wollenden Hilfen, die wir bereitwillig leisten unsere Sozialsysteme belasten könnten, dass wir also Hilfe leisten auf unsere Kosten. Allzu gerne greifen Populisten diesen Gedanken auf, denn das geht ja gar nicht: Hilfe auf unsere Kosten. Die Absicht der Populisten ist es, Gedankengänge durch scheinbar logische und schnell eingängige Kurzschlüsse zu unterbinden und Meinungsresultate zu erzielen, die durch einen einfachen Denkprozess verhindert werden können. In Ruhe nachgedacht weiß jeder, dass Hilfe ganz allgemein nur mit einem persönlichen Aufwand geleistet werden kann und immer ein persönliches Opfer bedeutet.
Der Wunsch nach einer Beendigung des Krieges, dürfte von allen geteilt werden. Auch wird jedem einleuchten, dass ein Weg dorthin keineswegs einfach ist. Und doch bieten Populisten auch dafür schnelle, eingängige und alle Probleme überbrückende Lösungen an. Einer dieser Vorschläge ist der Küchenpraxis entlehnt, indem eine durch Tiefgefrieren erstarrte Ware lange Zeit vor Verwesung und Fäulnis geschützt werden kann. Doch Einfrieren ist schon deshalb keine Lösung, weil Erstarrung, also Waffenstillstand, noch nicht Frieden bedeutet und Erstarrung gerade diejenigen Emotionen außer Acht lässt, die zu dem Krieg geführt haben, d.h. die Probleme von Verwesung und Fäulnis werden zeitlich nur verschoben. Populisten wissen sehr wohl, wo ihre Rattenfängermethoden am sichersten Erfolge zeitigen, nämlich dort, wo sie mit ihrer Zielgröße im Einklang sind mit den gesellschaftlichen Wunschvorstellungen. Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine heißt das „Frieden“. Sie haben nur dafür zu sorgen, dass ein gedanklicher Kurzschluss die entsprechenden Sicherungen außer Kraft setzt und für einen gedanklichen Stromausfall sorgt. Der eine sagt dann, man müsse verhandeln. Gedankenarbeit wäre nötig, um zu sagen „wie?“ Man müsste sich mit Putin beschäftigen, mit seinen Absichten und Beweggründen, man müsste die verschiedenen diplomatischen Möglichkeiten ausloten, vielleicht müsste man nur auf seine Worte achten, wenn er sagt: „Meine Kriegsziele sind nicht verhandelbar.“
Andere sagen, man solle endlich die Waffenlieferung stoppen, doch wegen Stromausfall bedenkt man nicht die Konsequenzen. Diese aber wären die Kapitulation der Ukraine mit dem Verlust der Selbständigkeit. Vor allem aber bedeutete dies die Unterwerfung der Menschen unter die russische Staatlichkeit mit einem Ende der Freiheit. Nur bei totalem Gedankenausfall kann man annehmen, dass „Keine Waffen“ gleichzusetzen ist mit Frieden. Im Gegenteil, mit aufwendiger Gedankenarbeit kann man gar zum Schluss kommen, dass es notwendig ist, Waffen zu liefern, um Frieden zu erreichen. Dazu gehört die Einsicht, dass wir bereits im Krieg sind (hybride Kriegsführung, Einflussnahme in Georgien und Moldavien, Unterwasserkabel in der Ostsee, Einfluss über die sozialen Medien, u.a.) und die Einsicht, dass auch unsere Freiheit bedroht ist, dazu gehört schließlich auch ein strategisches Verständnis, dass für Friedensverhandlungen werthaltige Bedingungen notwendig sind, um überhaupt handeln zu können, um vom Verhandlungspartner ernst genommen zu werden. Großflächige „Stromausfälle“ kämen den Populisten sehr entgegen, während Restbestände gedanklicher Tätigkeit in einer alles übertönenden Lautstärke untergingen. 1933 darf sich nicht wiederholen!
Jeder, der noch glaubt, unbeeinflusst denken zu können, muss zunächst eine realistische Bilanz der bisherigen Geschehnisse ziehen, er muss die aktuelle Situation vorurteilsfrei bewerten, er muss sein Ziel definieren und schließlich Wege beschreiben und Möglichkeiten ausloten, die zum Erreichen des Zieles erforderlich sind. Putins Absichten sind nach Art und Verlauf des bisherigen Krieges recht klar zu benennen: er will das Land, weil er meint, dass es ein russisches Land ist. Die Menschen sind ihm nicht wichtig. Weil er auf seiner und auf ukrainischer Seite auf Menschen keine Rücksicht nimmt, können wir nicht wissen, wie weit er gehen wird. Aus der Art seiner Kriegsführung ist jedoch zu schließen, dass er sich mit halben Lösungen nicht zufrieden geben wird. Über seinen Charakter wissen wir wenig Verlässliches; wir wissen das, was wir sehen, viel mehr ist es nicht. Allerdings sind manche Aussagen aus seiner Jugend überliefert und auch über seine biografische Entwicklung ist einiges bekannt. Eine Maxime nicht zuletzt im Zusammenhang mit seinen nicht seltenen Raufereien war es: „niemals aufgeben!“ Ein Sieg war und ist für ihn wichtig. Ein typischer Satz von ihm scheint zu sein: „Meine Stärke ist die Schwäche des anderen“. Im Rahmen seiner Geheimnistätigkeit kam er zu der Überzeugung, dass mit einem Spion mehr erreicht werden könne, als mit einer ganzen Armee. Nachdem er nicht aufzugeben gewillt ist, pflegt er vor einem Kampf seine Chancen zu taxieren; er wird keine Rauferei beginnen, wenn er nicht überzeugt ist, sie gewinnen zu können.
Welche Ziele hat der Westen, hat Europa, hat Deutschland in dieser kriegerischen Auseinandersetzung? Russland hat mit seinem unrechtsmäßigen Angriffskrieg gegen die Ukraine die Regeln für das friedliche Zusammenleben souveräner Staaten verletzt und hat damit einen Präzedenzfall geschaffen, der das ganze internationale Regelwerk in Frage stellt und der Willkür Tür und Tor öffnet. Es ist offensichtlich: in Georgien und Moldavien liegt Russland bereits auf der Lauer und es ist nicht schwer, sich in die Lage der baltischen Länder zu versetzen. Die konkrete Gefahr haben Finnland und Schweden dazu bewogen, die Mitgliedschaft in der NATO anzustreben. Die Staaten der Europäischen Union begannen unverzüglich, die Ukraine militärisch zu unterstützen. Es musste deutlich werden, dass Europa an dem Regelwerk festhalten will und dass sie bereit sind, die demokratischen Werte zu verteidigen. Die Voraussetzung für jede Art von Befriedigung ist die Einsicht Putins, dass er den Krieg nicht gewinnen kann. Es leuchtet ein, dass es entscheidend vom Willen der einzelnen Staaten abhängt, ob diese Einsicht bei Putin erreicht werden kann. Darüber hinaus ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit: einerseits zu sagen, dass auch unsere Freiheit bedroht sei und andererseits nicht alles zu unternehmen, diese Freiheit zu verteidigen. Wenn es also darum geht, das Ziel der demokratischen Staaten in der derzeitigen kriegerischen Auseinandersetzung zu definieren, dann kann es nur lauten: alles notwendige zu tun, um diese Freiheit und die demokratischen Werte zu verteidigen. Freiheit und Demokratie sind das Ziel, nicht Frieden! Wie kann die Freiheit Kriegsziel sein, wo wir doch glauben, sie schon zu haben? Wir sehen, wie zahllose Menschen, die für ihre Freiheit kämpfen, ihr Leben verlieren und wir sagen, diese Menschen würden auch für unsere Freiheit kämpfen. Wir aber leben in Freiheit, doch den Frieden definieren wir als unser Ziel. Ganz offensichtlich lassen wir damit die Ukrainer im Stich, weil wir die ganze Angelegenheit nicht mehr sehr ernst nehmen und damit den Populisten das Feld überlassen.
Der Frieden wird sich nach wieder gewonnener Freiheit und nach Respektierung demo-kratischer Werte gleichsam von selbst einstellen. Das Problem ist, dass wir aufgehört haben, das Kriegsziel genau zu definieren, dass wir signalisieren, uns mit einem Frieden zufrieden zu geben noch bevor die Frage der Freiheit und der staatlichen Souveränität geklärt ist. Die schnelle Bereitschaft für einen Frieden lässt vermuten, dass wir gar nicht gewillt sind, für unsere Freiheit zu kämpfen. Die Signale, die wir Putin zukommen lassen, passen in das Schema seiner Vorstellung von Stärke bzw. unserer Schwäche. Von Anfang an lag unsere Stärke in der Stärke der Worte. „Wir stehen fest an der Seite der Ukraine!“, „Russland darf den Krieg nicht gewinnen!“ Und groß blieben die Worte bis heute. Allerdings haben wir aufgehört, unsere Ziele in dieser Auseinandersetzung zu definieren. Weil er so besonnen ist, sprechen wir vom „Friedenskanzler“; ein Churchill wäre jetzt wichtiger, weil er den Wert der Freiheit kannte und dem Westen autoritäre Staatlichkeit ersparen wollte.
In allen Medien ist zu hören und zu lesen, dass die Ukraine täglich Geländeverluste im Osten zu verzeichnen hat. Große Probleme macht die nur begrenzten Flugabwehrmöglichkeiten. Gezielt wird die Infrastruktur bombardiert, worunter die Wärme- Wasser- und Strom-versorgung stark zu leiden hat. Es ist eine verzweifelte Situation. Der Präsidentenwechsel steht in Amerika an; keiner weiß, wie es weiter geht. In Deutschland ist Wahlkampf, die Zeit der großen Worte. Was den Krieg in der Ukraine angeht, war die deutsche Regierung noch nie zurückhaltend mit großen, die Realität übertönenden Worten. „Der größte Unterstützer“; als wenn der Unterstützerwettstreit entscheidend wäre und nicht die Wirkung, die an der Front erreicht werden soll. Wieder so ein Denkkurzschluss: Das „Viel“ wird zum besänftigenden Argument, völlig entkoppelt von seiner Wirkung bzw. Nichtwirkung. Weil die Bedingungen an der Front für die Ukrainer immer prekärer wird wurde im Kabinett der derzeit noch amtsführenden Regierung ein 4 Milliarden-Paket für die militärische Unterstützung beschlossen und der Ukraine versprochen. Nun aber ist Wahlkampf und es entstehen Bilder und Emotionen. „Friedenskanzler“ wird zu einer zugkräftigen Trumpfkarte, weil es um die Partei geht und nicht um die Ukraine. Der Begriff „Friedenskanzler darf auf keinen Fall beschädigt werden und auch nicht durch eine neuerliche Waffenlieferung. Nun deckt der „Spiegel“ auf, dass Scholz in einem Alleingang die zugesagten Milliarden zu stornieren beabsichtigt. Was ist das für ein Kanzler? Was ist das für ein Mensch?!
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