Die Medien, als der verlängerte und öffentlichkeitswirksame Teil der Politik, hat den Begriff der „Brandmauer“ fest in das kollektive Bewusstsein eingebrannt. Im Blickpunkt steht die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehende Partei der AfD. Ca 20 % der deutschen Bevölkerung wählen diese Partei, wobei keineswegs jedem von ihnen eine rechtsextreme, antisemitische oder gar faschistische Gesinnung vorzuwerfen ist. Vieles spricht dafür, dass eine Vielzahl von ihnen den Zugang zur aktuellen Politik völlig verloren hat und nicht zuletzt nach den drei Jahren politischer Agonie aus der Überlegung heraus „so kann es nicht weitergehen“ dem Griff nach populistischer Einfachheit nicht widerstehen konnte. Als gewählte Partei ist sie, den demokratischen Regeln entsprechend, im Bundestag vertreten. Ihre Parteimitglieder sitzen als Abgeordnete im Plenum des Parlaments. Nicht jeder dieser Abgeordneten tritt als lautstarker Vertreter der verstörenden Parteidoktrin im parlamentarischen Alltag in Erscheinung.

Unabhängig davon resultiert aus dieser Konstellation das Problem der inhaltlichen Unvereinbarkeit: Auf der einen Seite eine verfassungsfeindliche, europafeindliche, antisemitistische Partei, über deren Verbot intensiv nachgedacht wird, auf der anderen Seite vom Volk gewählte Vertreter dieser Partei im deutschen Parlament. Da ist die eine Seite, dass man die Partei ablehnen muss; da ist das andere, dass man mit den Abgeordneten im Parlament reden muss. Die Welt im Parlament kann aber keine andere sein als die außerhalb des Parlamentes. Dieses Problem der Quadratur des Kreises versuchte man durch das Einziehen einer „Brandmauer“ zu lösen. Es soll verhindert werden, dass die Gefährlichkeit, die historisch belegte Sprengkraft dieses Gedankengutes das demokratische Bewusstsein infiltriert. Die Bevölkerung hat den Wert und die Bedeutung dieser Brandmauer verinnerlicht; sie begreift sie als einen Schutzwall gegen die Gefahren, die überall am Horizont lauern und die Schrecknisse der Nazizeit in Erinnerung bringen. In diesen Tagen, in denen an Auschwitz erinnert wird, ist das Auftreten und das frech vorgetragene Gedankengut der AfD besonders unerträglich und es sind so viele, die sich auf die Unzerstörbarkeit der Brandmauer verlassen. Das Problem liegt möglicherweise darin, dass die Brandmauer mehr als Mauerwerk verstanden wird und dass man von ihr etwas erwartet, was sie nicht leisten kann. Sie kann nicht das leisten, was wir durch unsere Einstellung, durch unsere Überzeugung und durch das, wie wir leben, leisten müssen.

Das „Nie wieder“ ist keine Gewährleistung einer Mauer, sondern willentliche Umsetzung einer zutiefst schmerzhaften Lebenserfahrung. Nicht eine Mauer, sondern wir, die wir leben, haben Stand zu halten! Vor diesem Hintergrund ist die Welt im Parlament nicht anders als die Welt draußen im Leben. Aber draußen im Leben scheint sich der Terror breit zu machen, Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und im letzten ein gezielter Kindermord! Das Unerträgliche dieser Geschehnisse greift die Partei der AfD begierig auf, um es programmatisch zu integrieren in ihre menschenfeindlichen, völkischen Absichten. In populistischer Manier wird alles Schlechte ins Abseits verwiesen, jenseits der Grenzen, jenseits der uns so vertrauten, ruhewaltenden Alltagswelt. Wer Mauern baut, schadet der Demokratie, indem er die ihm übertragene Verantwortung abgibt an ein stumpfes, kaltes Mauerwerk, wo doch die Demokratie wartet, zum Leben erweckt zu werden.

Wir können den Einfluss dieser Partei nur dadurch zügeln, indem wir mit den gewählten Abgeordneten reden, unsere Überzeugung vertreten und sie in die Pflicht der Verantwortung nehmen. Wir müssen Demokratie leben und nicht versuchen, sie einzufrieren, einzumauern, sie zu konservieren.

Ohne diesen Mut wird die Demokratie nicht überleben.