Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates , wurde heute nach Ihrer Einstellung zur allgemeinen Impfpflicht gefragt. Sinngemäß antwortete sie: Wir hatten bisher immer gute Gründe, gegen eine allgemeine Impfpflicht zu sein. Heute nun, in einer Zeit, in der die Kliniken an ihre Grenzen stoßen und das Deutsche Gesundheitssystem zu kollabieren droht, spricht vieles für eine solche allgemeine Impfpflicht. Sie fügt hinzu, es wäre allerdings wünschenswert gewesen, diese Möglichkeit schon vor mehreren Monaten in Erwägung zu ziehen.
Diese drei Sätze stehen beispielhaft für eine Diskussion, die seit mehr als zwei Jahren mit immer größerer Leidenschaft aber auch als Ausdruck politischer Ratlosigkeit und ideeller Orientierungslosigkeit geführt wird. Wie ein Mantra wird immer wieder die Überzeugung in den Raum gestellt: man könne eine allgemeine Impfpflicht der Bevölkerung weder zumuten noch die persönlichen Freiheitsrechte beschneiden. Und dabei gibt es so viele vernünftige Argumente, die nicht nur für eine Impfpflicht sprechen würden, sondern sie gar für geboten erachten. Es herrscht Panik angesichts der Tatsache, dass die Deutsche Intensivmedizin zu kollabieren droht; gleichzeitig wird der Notstand von nationaler Tragweite als beendet erklärt, nur, weil sich ein Gesundheitsminister es sich so schön ausgedacht hat, mit dem Ende seiner Amtszeit auch den Notstand für beendet erklären zu können, als sichtbarer Erfolg seiner Tätigkeit. Dann schließlich die Feststellung von Frau Buyx, man hätte früher….Diese Feststellung bildet stets den Abgesang von Menschen, die im Letzten irgend-wie Recht behalten müssen, die bei aller Volatilität divergierender Meinungen demonstrie-ren müssen, dass sie den klaren Blick behalten haben. In der Regel wird dabei der Konjunktiv bemüht.
Diese drei Sätze sagte sie und was, bitte schön, sind die guten Gründe, die gegen die allgemeine Impfpflicht sprachen? Immerhin Plural, also muss es viele Argumente gegeben haben. Heute stehen im Plural nur die Toten, inzwischen mehr als 100 000. Wieviel Tote sind bei prospektiven Planspielen tolerierbar? Ab welcher Zahl werden Tote zum Argument? Im Plural auch die Insolvenzen, das wirtschaftliche Aus für viele Familien. „Wir hatten gute Gründe“. Es kann nur ein Grund gewesen sein, ein Grund, der gebetsmühlenartig geistlos und besinnungslos in die Welt hinausposaunt wurde: Jeder kann sich frei entscheiden! Es sei ein nicht in Frage zu stellendes Persönlichkeitsrecht! Von diesem „guten Grund“ spricht die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, eine Frau, die Medizin, Philosophie, Soziologie und Gesundheitswissenschaften studiert hat, die sich zwangsläufig schon einmal Gedanken über das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft gemacht haben muss. Eine Frau, die bei ihrem Allgemeinwissen auch schon einmal von Rudolf Steiner gehört haben muss, der mit seiner Lehre die Hirne der Menschen mit Wiedergeburtsphantasien vernebelt und ihres Verstandes durch Suggerierung antiwissenschaftlicher Glaubensinhalte beraubt. Die Anthro-posophen sind maßgeblich an der Verunbildung menschlichen Geistes beteiligt. Wie kann ein Mensch, der von derart abwegigen Vorstellungen besessen ist von freier Entscheidung sprechen?
Wenn man es genau nimmt, muss man in einer Demokratie nicht nur Entscheidungen respektieren, sondern auch Meinungen, Ansichten, Verunbildungen. Oder doch nicht? Nur so lange, wie die Gemeinschaft nicht darunter zu leiden hat? Wer legt aber die Grenzen fest? Das Richtigkeitsempfinden, der moralische Kodex des Einzelnen oder bedarf es mitunter der Richtungsweisung durch den Staat, der Verantwortung trägt für die Gemeinschaft und den Einzelnen. Nicht nur für eine solche Grenzziehung ist der Staat verantwortlich, er trägt auch Verantwortung für das Wohl und die Gesundheit der Bürger. Nicht, dass der Bürger ein Recht auf seine Gesundheit hätte, doch hat der Staat für ein Gesundheitswesen Sorge zu tragen, das eine adäquate Behandlung sicher stellt. Zu seiner Fürsorgepflicht gehört auch die Aufgabe, ihn vor absehbaren Bedrohungen zu schützen. Eine solche Bedrohung stellt die derzeitige Pandemie dar. Es ist nicht lange her, dass das Bundesverfassungsgericht die Politik aufgefordert hat, mehr für den Klimaschutz zu tun und dabei an die zukünftigen Generatio-nen zu denken. Die Regierung hatte zu wenig getan. Auch für das „Zu-Wenig“ kann man also in die Pflicht genommen werden. Hat die Regierung im Zusammenhang mit der Coronakrise zu wenig getan?
Es galt abzuwägen: Eine allgemeine Impfpflicht gegen über 100 000 Tote, gegenüber der Zerstörung unzähliger Existenzen, eine drohende Bildungskatastrophe, gegenüber einem nicht absehbaren wirtschaftlichen Schaden für die ganze Nation, gegenüber 1000 Vollwaisen, entstanden durch den Tod der Eltern. Es wird argumentiert, es gäbe verfassungs-rechtliche Bedenken gegen die Einführung der Impfpflicht; gibt es nicht vielmehr Grund für die gegensätzliche Argumentation, wonach es verfassungsrechtliche Bedenken gibt gegen-über dem zögernden Nichts-Tun der Politik, gegenüber dem bloßen Verwalten einer Krise mit unermesslichem Leid, mit nicht abschätzbarem Schaden für das Land. Neben dem Argument, die Pandemie endlich in den Griff zu bekommen, läuft das Gemeinwohl Gefahr, den inneren Frieden zu verlieren. Das Vertrauen in die Politik, in den Staat schwindet mehr und mehr: Einen wesentlichen Grund vermittelt der Eindruck, dass der Staat nicht mehr fähig und gewillt ist, Ordnung zu schaffen, sich durchzusetzen; es fehlen Order und Wille und die Justiz scheint auf dem rechten Auge Sehstörungen zu haben. „Hängt die Grünen!“ ist nicht strafbewährt. Das Fälschen von Impfpässen, war anfangs nicht strafbewährt; die Pandemie als persönliche, millionenfache Bereicherung zu nutzen, ist nicht strafbewährt.
Die Frage an das Bundesverfassungsgericht müsste lauten: Darf der Staat es zulassen, dass über 100 000 Bürger sterben, dass aus dem selben Grund zahlreiche Existenzen vernichtet werden, ohne die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, dies zu verhindern? Was bedeutet es, dass der Staat Verantwortung trägt für seine Bürger, eine Verantwortung, die er sträflich vernachlässigt? Es scheint, als ob der Mensch nicht bereit ist zu lernen, nicht bereit ist, aus der Geschichte die notwendigen Schlüsse zu ziehen, um gerüstet zu sein für Entwicklungen und Konstellationen, die immer wieder ein gleiches oder ähnliches Konfliktpotential in sich bergen. Nach Fackelaufmärschen vor Privatwohnungen von Politikern fragt man sich, wie konnte es so weit kommen? Dabei ist die Erklärung so einfach! In den Anfängen werden Entwicklungen trotz eindeutiger Zeichen nicht als bedrohlich wahrgenommen; man zögert, ist unentschieden, misstraut den eigenen Argumenten: „Demonstrationsrecht“, „Persönlich-keitsrecht“, „Meinungsrecht“, „Grundwerte der Demokratie“! In der Proklamation demokra-tischen Grundrechte überboten sich die Politiker: „Keine Impfpflicht!“, „Mit mir wird es keine Impfpflicht geben!“, „Nein, keine Impfpflicht!“ Ein jeder wollte ein noch besserer Demokrat sein; dazu gehört: die Freiheit nicht antasten! Die Persönlichkeitsrechte respektieren! Freiheit! Freiheit pur! Doch: Freiheit pur hat nichts gemein mit dem Verständnis von Demokratie! Der sich ins Absolute steigernde Anspruch auf Freiheit ist der reinste Ausdruck eines ins Zügellose gesteigerten Egoismus, der sich stark und erhaben genug fühlt, unangreifbar zu sein, stets unterfüttert mit totalitärem Gedankengut. Freiheit schützen heißt auch, ihre Grenzen bewusst machen!
Demokratie gewährt Freiheit; in diesem Verständnis hat der Staat die Aufgabe, Freiheit zu schützen. Das hat der Bürger aus der Geschichte gelernt und so gesehen darf sich der Teil der Geschichte nicht wiederholen der zum Raubzug der Freiheit wurde. Doch er wird sich wiederholen, wenn wir nicht Vernunft, Klarheit und Willen walten lassen bei dem Ansinnen, die Freiheit zu erhalten, sie zu verteidigen, indem wir ihre Grenzen bewusst machen.! Freiheit ist wie ein Ei, aus dem Leben hervorgeht. Das Ei wird durch die Schale (Begrenzung) in Form gehalten, doch die Schale ist brüchig. Aus der Intaktheit der Schale erwächst dem Ei seine lebensfördernde Bedeutung. Freiheit verteidigen bedeutet auch, ihre Grenzen, ihre Schale zu schützen! Das haben die Politiker allesamt versäumt, indem sie sich, die Krankheit und die Demokratie falsch eingeschätzt haben.
Erst waren es Demonstrationen gegen Anti-Corona-Maßnahmen, dann begann man zu provozieren, indem man auf Abstand und Masken verzichtete. Der Staat griff nicht ein. Auch die Zunahme einer rechtslastigen, parolen-gestützten Aggressivität wurde hingenommen in der falschen Einschätzung, dass Freiheiten geschützt werden müssten. Mit Parolen wie „Gegen die Corona-Diktatur“ wird der Staat herausgefordert, doch in der Unentschlossen-heit seiner verhaltenen Reaktion ist er dabei, das zu verlieren, was ihm besonders schützenswert schien: die Freiheit. Zu jeder Zeit ist die Demokratie anfällig gegenüber Kräften, die ihre Schwächen zu nutzen versuchen, um aus dem labilen Geflecht starke, gefügige und zu eigenem Vorteil beeinflussbare Positionen entstehen zu lassen. Einen Staat, der zögert und Schwäche zeigt, zwingen sie zu Handlungsweisen, die ihren Vorstellungen vom Funktionieren eines Staates entsprechen. Der Staat ist seiner Pflicht nicht gerecht geworden. Nun ist es schwer, die versäumte Pflicht nachzuholen. Es lastet die Pflicht, es lastet das Versäumnis. Jetzt, mitten im „Spiel“ wird es schwer sein, die Spielregeln zu ändern. Wurde ein Weg, der nach rationalen Gesichtspunkten erdacht und begonnen wurde (Impfpflicht), einmal verlassen, dann ist es schwer, aus dem Dunkel der Verirrungen ans Licht zurückzufinden. Wenn etwa Frau Alena Buyx als Geisteswissenschaftlerin heute sagt, dass die Impfpflicht auch nicht das All-heilmittel wäre, dann fragt man sich, warum der natur-wissenschaftliche Erfolg der frühzeitigen Vakzinherstellung, der als Gnade einer frühen Impfmöglichkeit angesehen werden muss, immer wieder verteufelt wird. Und er ist in Bezug auf Corona das All-Heilmittel! Je mehr Zeit wir dem Virus geben, desto eher wird es mutieren und damit die pandemische Bedrohung fortsetzen.
Demokratie lebt nicht von den Nein-Sagern! Auch nicht von denen, die sie eigennützig überfordern. Wie aber kann Demokratie anders funktionieren als mit der Bereitschaft eines Jeden, den eigenen Nutzen an die Gemeinschaft zurückzugeben, nicht nur auf Rechten zu bestehen, sondern auch Pflichten, nicht nur zu akzeptieren sondern als selbstverständlich, als einen Beitrag zum Gemeinwohl zu empfinden. Der Begriff der Bürgerpflicht scheint obsolet zu sein. Man wird darüber nachdenken müssen, inwieweit diese sich von jeder Verpflichtung frei-sprechende Denkart die Folge einer missverstandenen Freiheit ist oder ob ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber allem, was staatliche Verordnung vermuten lässt, noch aus einer Vergangenheit rührt, in der der Begriff „Pflicht“ zur bedingungslosen Konformität mit einer gewissenlosen Staatsideologie gemacht wurde. Gleich wie; vermutlich lässt sich dieser Konflikt mit Hilfe von zwei anderen Begriffen besser verdeutlichen: „Knecht“ und „Diener“. Ein Diener handelt im Bewusstsein des Ganzen; er trägt Verantwortung für das Ganze, weil sein Handeln auf das Wohl des Ganzen, auf ein Ziel hin ausgerichtet ist. Er ist frei in seiner Entscheidung. Der Erfolg seines Handelns bemisst sich ausschließlich an der inhaltlichen Erfüllung seiner Aufgabe, der Verantwortung für das Ganze folgend. Ein Diener handelt auf ein Ziel hin, das er zwar nicht selbst definiert, das er sich jedoch zu eigen gemacht hat. Ein Knecht handelt fremdbestimmt. Es geht nicht um die Akzeptanz der ihm gestellten Aufgabe sondern ausschließlich um die Verrichtung. Er ist in seiner Entscheidung nicht frei.
Weil wir zwischen „Knecht“ und „Diener“ nicht unterscheiden, sind wir zurecht versucht, nicht in die Rolle eines Knechtes zu geraten, zugleich aber sind wir nicht gewillt, die Rolle eines Dieners zu übernehmen. Ein Diener handelt stets solidarisch; er ist bereit, sich einer Sache, einer Idee unterzuordnen; er ist bereit, Verantwortung zu übernehmen. Ein Knecht ist nur dem Erfolg seiner eng umschriebenen Aufgabe verpflichtet; er tut, was von ihm verlangt ist.; er ist unbeteiligt an der Idee seiner Aufgabe. Seien wir Diener des Staates, der uns mit seiner demokratischen Verfassung, die Würde der Freiheit gewährt. Seien wir frei in dem, zu tun, was wir der Gemeinschaft schuldig sind.
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