„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ Diese zentrale Feststellung ist die Kernaussage des Deutschen Grundgesetzes. Er beinhaltet die grundsätzliche und bedingungslose Wertschätzung des Menschen unabhängig von seiner Herkunft und seinen Überzeugungen. !945 wurde Deutschland durch die Alliierten unter größter Opferbereitschaft von dem infernalischen NS-Regime befreit. Der Leitgedanke im deutschen Grundgesetz, der sich tief im deutschen Bewusstsein eingeprägt hat, soll gewährleisten, dass sich Vergleichbares nie wiederholen darf. Es ist kein politischer Satz, vielmehr ein Grundsatz der Gewissensbildung, eine ethische Leitlinie des Denkens und des Handelns. Dieser Satz ist die Grundlage der weltweit geltenden Menschenrechte und ideeller Bestandteil des Völkerrechts. Es ist der Maßstab, der nicht zuletzt jeder Einschätzung politischer Vorkommnisse weltweit zugrunde gelegt wird. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden der Staat Israel eingehender betrachtet werden.
Die Staatsgründung basiert auf einem völkerrechtlich verbindlichen Votum der UN-Generalversammlung vom 29. November 1947 in dem die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat beschlossen wurde. (Jerusalem wurde als corpus separatum unter UN- Verwaltung gestellt). Am 14. Mai 1948 verlas David Ben Gurion die israelische Unabhängigkeitserklärung. Von arabischer Seite wurde der UN- Beschluss abgelehnt und noch am 14. Mai 1948 erklärten Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien Israel den Krieg. Israel konnte sich dieser Übermacht gegenüber erwehren und schaffte es, große Gebiete, die den Arabern zugesprochen waren, darunter auch Westjerusalem zu besetzen. Das Westjordanland und der Ostteil von Jerusalem kamen unter jordanische Verwaltung; der Gazastreifen wurde von Ägypten annektiert. Am 23. Januar 1950 wurde Westjerusalem zur Hauptstadt von Israel erklärt.
Die weitere geschichtliche Entwicklung des Staates Israel soll hier nicht weiterverfolgt werden. Zum einen ist sie bekannt (Sueskrise (1956), Sechstagekrieg (1967), Jom Kippurkrieg (1973), Libanonkrieg (1982), zum anderen lagen der ganzen weiteren Entwicklung jeweils die gleichen Probleme zugrunde: Die Nicht-Anerkennung des Staates Israel von Seiten der Araber verbunden mit militärischen Aggressionen. Dass sich Israel zur Wehr setzen musste, steht außer Frage. Und dies tat Israel jeweils mit großem Erfolg und mit nicht unbeträchtlichem Landgewinn, was schließlich auch bedeutete, dass 100 Tausende Palästinenser zur Flucht gezwungen waren. Entscheidender als die kriegerischen Auseinandersetzungen, waren die vielen Bemühungen, Bedingungen für einen dauerhaften Frieden zwischen beiden Völkern zu schaffen. Vermittler waren in erster Linie die Vereinten Nationen, die USA und nicht zuletzt Norwegen. Die Bemühungen von Seiten der EU erschöpften sich – bis heute – lediglich in rhetorischen Akklamationen, ohne erkennbaren Gestaltungswillen.
Nach dem 6-Tage Krieg tagte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und verabschiedete am 22 Nov. 1967 einstimmig die Resolution 242:
Die Resolution 242 lautet: „Der Sicherheitsrat, mit dem Ausdruck seiner anhaltenden Besorgnis über die ernste Situation im Nahen Osten, unter Betonung der Unzulässigkeit des Gebietserwerbs durch Krieg und der Notwendigkeit, auf einen gerechten und dauerhaften Frieden hinzuarbeiten, in dem jeder Staat der Region in Sicherheit leben kann, ferner unter Betonung dessen, dass alle Mitgliedstaaten mit der Annahme der Charta der Vereinten Nationen die Verpflichtung eingegangen sind, in Übereinstimmung mit Artikel 2 der Charta zu handeln,
- erklärt, dass die Verwirklichung der Grundsätze der Charta die Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens im Nahen Osten verlangt, der die Anwendung der beiden folgenden Grundsätze einschließen sollte:
a. Rückzug der israelischen Streitkräfte aus den Gebieten, die während des jüngsten Konflikts besetzt wurden;
b. Beendigung jeder Geltendmachung des Kriegszustands beziehungsweise jeden Kriegszustands, sowie Achtung und Anerkennung der Souveränität, territorialen Unversehrtheit und politischen Unabhängigkeit eines jeden Staates in der Region und seines Rechts, innerhalb sicherer und aner-kannter Grenzen frei von Androhung oder Akten der Gewalt in Frieden zu leben.
- erklärt ferner, dass es notwendig ist,
a. die Freiheit der Schifffahrt auf den internationalen Wasserwegen in der Region zu garantieren;
b. eine gerechte Regelung des Flüchtlingsproblems herbeizuführen;
c. die territoriale Unverletzlichkeit und politische Unabhängigkeit eines jeden Staates der Region durch Maßnahmen zu garantieren, die auch die Schaffung entmilitarisierter Zonen miteinschließen.
- ersucht den Generalsekretär, einen Sonderbeauftragten zu ernennen, der sich in den Nahen Osten begeben soll, um mit den beteiligten Staaten Verbindung aufzunehmen und zu unterhalten, mit dem Ziel, eine Einigung zu fördern und die Bemühungen zur Herbeiführung einer friedlichen und akzeptierten Regelung im Einklang mit den Bestimmungen und Grundsätzen dieser Resolution zu unterstützen.
- ersucht den Generalsekretär, dem Sicherheitsrat baldmöglichst über den Stand der Bemühungen der Sonderbeauftragten Bericht zu erstatten.
Auf der 1382. Sitzung des Sicherheitsrates einstimmig verabschiedet (22. November 1967).
Diese Resolution lehnte Israel ab.
Unter Mithilfe der USA gelang es Israel den Ring der unversöhnlich, gegen Israel gerichteten Arabischen Liga aufzubrechen: Im Jahr 1979 wurde in Washington ein Friedensvertrag mit Ägypten und 1994 zwischen Israel und Jordanien unterzeichnet. Zwischen Syrien und Israel gab es zwar Interimsabkommen, zu einem Friedensvertrag kam es jedoch nie. Neben zahlreichen vergeblichen Bemühungen, das gespannte Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern zu entschärfen und zu einem status vivendi, einer von beiden Seiten akzeptierten Lösung zu kommen, wurden große Hoffnungen auf die direkten Verhandlungen der PLO mit Israel unter der Vermittlung von Norwegen gesetzt. Diese lange Zeit geheim gehaltenen Verhandlungen führten schließlich zur beiderseitigen Anerkennung und im Beisein von Yitzhak Rabinn, Jassir Arafat und Bill Clinton zur Unterzeichnung einer „Prinzipienerklärung“ über die vorübergehende Selbstverwaltung des Gazastreifens und des Westjordanlandes (13. September 1993). Die PLO verpflichtete sich, alle Passagen in ihrer Charta zu streichen, welche die Vernichtung Israels zum Ziel hatten. Über den Status von Jerusalem sollte später weiterverhandelt werden (Oslo I) In einem persönlichen Brief an den israelischen Ministerpräsidenten Rabin bekräftigte Arafat die Haltung der PLO (Fatah) wie folgt: „Die PLO erkennt das Recht des Staates Israel auf Existenz in Frieden und Sicherheit an.
Die PLO akzeptiert die Resolution 242.Die PLO erachtet die Unterzeichnung der Prinzipien-erklärung für ein historisches Ereignis, welches eine neue Epoche friedlicher Koexistenz einleitet.“
Nicht zuletzt als Reaktion darauf verstärkte sich im Gazastreifen der Einfluss der muslimischen Bruderschaft mit der Einrichtung fundamentalistisch islamistischer Zentren (Gaza-universität) Diese Entwicklung wurde angeblich eine Zeit lang von Israel unterstützt um damit ein Gegengewicht zur Fatah zu schaffen. In der am 18. August veröffentlichten Gründungscharta unterstreicht die Hamas ihre ideologischen und strategischen Ziele: Sie verneint ausdrücklich das Existenzrecht Israels und strebt die Auflösung dieses Staates an. Verhandlungen mit Israel versteht sie als „Zeitverschwendung“. Deshalb kritisiert die Charta die weltliche Agenda der PLO und deren Zustimmung zur Resolution 242.
Die Kurzlebigkeit und Brüchigkeit der vertraglichen Festlegungen zeigt sich allein darin, dass sich bereits 1978 Menachem Begin in Camp David bereit erklärt hatte, die legitimen Rechte des Palästinensischen Volkes durch Israel anzuerkennen und dem Gazastreifen sowie dem Westjordanland Autonomie zuzugestehen. Die Camp David-Verhandlungen wurden vor dem Hintergrund der Resolution 242 des UN-Sicherheitsrates auf Betreiben des damaligen Präsidenten J. Carter geführt.
Nach langwierigen Verhandlungen im sog. Nah-Ost-Quartett (UNO, USA, Russland, EU) verkündete der damalige Präsident George W. Bush das Ergebnis, das als „Road Map“ in die Geschichte einging (24 Juni 2002: Dieser Plan geht von zwei unabhängigen, souveränen Staaten aus, unter folgenden Bedingungen:
- Palästina erkennt das Existenzrecht Israels an;
- Demokratische Reformierung der palästinensischen Autonomiebehörden
- Ablehnung jeglicher Gewalt durch Palästina und aktives Vorgehen gegen jede Form von Terrorismus
- Israel akzeptiert die Zwei-Staaten-Lösung.
- Israel zieht sich von palästinensischen Gebieten zurück und baut die dortigen Sielungen ab.
- Israel lockert die den Palästinensern auferlegten Zwangsmaßnahmen.
In einer Kabinettsitzung vom 25. Mai 2002 stimmte Israel der „Road Map“ zu. Konsequenter Weise entließ Israel 2003 500 palästinensische Gefangene vorzeitig aus der Haft und räumte 2012 den Außenposten Migron.
Die „Road Map“-Bemühungen scheiterten jedoch schließlich an der radikal-islamischen Hamas, die nach wie vor das Existenzrecht Israels ablehnt und sich nach wie vor zum Terror gegen Israel bekennt.
Bestandsaufnahme und aktuelle Situation
- Dem grassierenden Antisemitismus, der sich eigenwillig und völlig irrational des derzeitigen israelischen-palästinensischen Konfliktes bedient, muss mit allen rechts-staatlichen Mitteln entgegengewirkt werden.
- Es besteht internationaler und völkerrechtlicher Konsens, dass die Lösung des Nah-Ostkonfliktes nur in einer Etablierung zweier unabhängiger, autonomer Staaten bestehen kann. Verfolgt man die diplomatischen Bemühungen der letzten Jahre (Jahrzehnte), dann war Israel lange Zeit bereit, einer solchen Lösung zuzustimmen. Bedenkt man jedoch die Politik Israels der unmittelbar zurückliegenden Jahre (Netanjahu), dann ist von einem Willen, zum Frieden zu kommen, nicht viel zu spüren. man muss den Eindruck gewinnen, dass der Errichtung eines Palästinenser Staates mit allen Mitteln entgegengewirkt werden soll (Siedlungspolitik, National-staatsgesetz (2018)). Insofern ist die Politik Israels aufs heftigste zu kritisieren, zumal sie mit dem Völkerrecht nicht vereinbar ist und mit dieser Politik jede Aussicht auf eine zukünftige Lösung des Konfliktes konterkariert wird. Mit Netanjahu kann es keinen Frieden in Israel geben. Netanjahu klebt an der Macht; er verfolgt das Ziel israelischer Dominanz. Zum Machterhalt aber braucht er die Hamas, um im Kampf gegen sie seine nationalistische Politik zu rechtfertigen.
- Von den derzeitigen kriegerischen Auseinandersetzungen profitieren sowohl Netanjahu als auch die Hamas. Beide haben bewusst diese Auseinandersetzung provoziert (Zwangsräumung palästinensischer Wohnungen in Ostjerusalem sowie Provokationen von beiden Seiten auf dem Tempelberg). Mit den Provokationen versuchten radikale Palästinenser, die im Westjordanland anstehenden Wahlen zu verhindern; Netanjahu hingegen, Trümpfe für seine Regierungsbildung zu sammeln. Vor nichts scheut er zurück, wenn es um seinen Machterhalt geht. Die jeweils eigenen internen Interessen sind schließlich der Grund dafür, dass von außen kaum eine Einwirkungsmöglichkeit besteht. Die Welt ist mit Corona und dem Klimaschutz beschäftigt, die EU ist sich uneins und hat darüber hinaus weder diplomatische noch anderweitige Möglichkeiten der Einflussnahme; Amerika hat mit der Aufarbeitung einer bedrückenden Trump-Altlast zu tun und ist derzeit vor allem innenpolitisch so labil, dass ihr ein Richtungswechsel in der Außenpolitik gefährlich werden kann. So bleiben die kriegerischen Handlungen international weitgehend konsequenzlos.
- Die Probleme liegen bei Netanjahu, auf der israelischen Seite, und bei der Hamas auf palästinensischer Seite. Das sind keineswegs gleichwertige und gleichsinnige Probleme, doch gibt es offensichtlich politische Konstellationen, die sich im Erscheinungs-bild und in den Konsequenzen fatal ergänzen. Was die Zwei-Staaten-Lösung angeht, muss sich Israel fragen, welche Politik es langfristig verfolgen will (siehe Punkt 5), dazu gehört auch, zu entscheiden, wie sie sich zu dem trojanischen Pferd von Trump stellen wird (siehe Punkt 5); die Palästinenser müssen überlegen, wie sie mit dem von der Hamas ausgehenden Fanatismus in Zukunft umzugehen gewillt sind.
- Israel verfügt über die absolute Macht im Nahen Osten. Bisher verlässt es sich auf den Einsatz militärischer Mittel bei der Beruhigung entstehender Auseinandersetzungen. Bedenkt man die Rigorosität des von der Hamas ausgehenden Fanatismus, dann sind weitere Auseinandersetzungen vorprogrammiert. Wie immer ist die Zivilbevölkerung der Leidtragende. Da die Gesamtheit der Palästinenser keineswegs Hamas-hörig ist (die Hamas ist vom Volk nicht demokratisch legitimiert!), sich vielmehr nach einer friedlichen Koexistenz mit Israel sehnt, ist es falsch, sie unter den Generalverdacht einer potentiellen Aggression zu stellen bzw. sie zu Bürgern zweiter Klasse zu machen und ihnen die Würde zu nehmen. Ein Palästinenser wurde in diesen Tagen gefragt, warum er sich an dem Aufruhr beteilige, er antwortete, nicht wegen der aktuellen Auseinandersetzungen mit der Hamas; wir sind einfach die jahrzehnte-lange Bevormundung, die Demütigungen und die andauernden Repressionen von Seiten der Israeli leid. Dauerhaft gezeigte Macht hinterlässt das entwürdigende Gefühl der Ohnmacht; es ist das Knie im Nacken, das nicht atmen lässt (Siedlungspolitik, der Gazastreifen als Ghetto) So macht man sich Feinde und vergibt die Chance, die Menschen von einer friedlichen Absicht zu überzeugen. Der israelischen Politik fehlt der Wille zum Frieden; und eben das ist ihr vorzuwerfen. In der Auseinandersetzung mit der Hamas führen Bomben nicht weiter. Es ist die Handreichung des Stärkeren, der die Möglichkeit der Aussöhnung schaffen kann. Dies mit aller Überzeugung und mit großer Geduld zu versuchen, das wäre die Aufgabe israelischer Politik. Gewiss stünden einflussreiche internationale Partner zur Verfügung, die auf diesem Weg ihre Hilfe anböten. In der israelischen Politik ist ein Paradigmenwechsel erforderlich: weg von dem Willen zu Dominanz, hin zu einem friedlichen Zusammenleben. Allein der Stärkere hat dabei alle Möglichkeiten, nicht der Schwache. So gesehen war Trump ein schlechter Ratgeber! Es steht zu befürchten, dass sich die politische Einstellung Israels nicht ändert. Netanjahu will keinen Frieden! ER ist bereit, Menschen zu opfern um seines eigenen Erfolges willen.
- Auch die Haltung der Bundesregierung ist zu kritisieren. Um ihre Meinung gebeten reicht es nicht, sich ausschließlich auf die Staatsräson zu beziehen und ebenso plump wie undifferenziert festzustellen, „wir stehen zum Existenzrecht Israels bzw. Israel habe das Recht, sich zu verteidigen“. Diese Undifferenziertheit trägt nicht zuletzt dazu bei, dass auch in der Bevölkerung plumpe und undifferenzierte Meinungen entstehen mitunter angereichert mit Vorurteilen verschiedenster Art. Ein Wort zu den Opfern wäre durchaus hilfreich (im Gazastreifen 240, in Israel 12). Die fehlende Differenzierung hinsichtlich der eigentlichen Problematik leistet unwillkürlich den blinden antisemitistischen Tendenzen Vorschub.
- Ein besonderes Problem besteht darin, dass es sich bei Israel um einen jüdischen, d.h. Staat handelt, der zwischen weltlichen und religiösen Zielsetzungen nicht unterscheidet. Die Staatsflagge beinhaltet zentral den Davidstern, eben jenes Symbol, das die Juden im Dritten Reich stigmatisierte. Es ist offensichtlich, dass in dieser Zweideutigkeit des staatlichen Emblems eine Kritik an Israel (an der israelischen Politik) leicht als eine antijüdische Haltung missverstanden werden kann (muss).
J. Horn (21. 05.2021)
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