Medizin
Das Erscheinungsbild der heutigen Medizin ist weder eindeutig noch einheitlich. Einerseits imponiert sie durch hochqualifizierte Fachlichkeit und immer wieder durch spektakuläre Therapieerfolge, andererseits scheint sie den unmittelbaren Patientenkontakt zu verlieren. Der zunehmende Trend zu alternativen Behandlungsmethoden und die offensichtliche Suche nach menschlicher Zuwendung sind ein deutliches Zeichen für eine Medizin, die in eine Identitätskrise geraten ist. Sie leidet an einer völligen Zersplitterung ihres Selbstverständnisses: lähmende Bürokratisierung mit weitgehender Anonymisierung des Patienten; planwirtschaftliche Kommerzialisierung mit Budget-gesteuertem Diagnose- und Therapieverhalten; Abgleiten in eine Zwei-Klassen-Medizin; Blendung durch reklamewirksame Selbstdarstellung (überall nur noch Spezialisten in ansehnlicher Wohlfühl-Atmosphäre); Vertiefung der Kluft zwischen prosperierenden Ärzten einerseits und frustrierten, administrativ dominierten Kollegen andererseits (Hausärzte und Krankenhausärzte); zwangsläufig größere Aufmerksamkeit für Privat-patienten. Die inhaltlichen Probleme werden durch oberflächenwirksame Maßnahmen kaschiert.
Eine Reform mit einer Renaissance von Glaubwürdigkeit und individueller Verantwortungsverlässlichkeit kann nicht politisch bewerkstelligt und administrativ verordnet werden. Entscheidend ist das Verhalten der Ärzteschaft, das Verhalten eines jeden einzelnen Arztes, hinter den fremdbestimmenden Einflüssen und hinter persönlichen Beweggründen die eigentliche Aufgabe am Patienten wahrzunehmen und die Medizin zu einem verantwortungsbewussten und glaubwürdigen Partner des Menschen werden zu lassen.